Eine Website für die Opfer rechter und rassistischer Gewalt in Berlin
Seit dem Frühjahr 2019 treffen sich Vertreter*innen von Gedenkinitiativen für Opfer rechter und rassistischer Gewalt in Berlin regelmäßig, um das Projekt einer gemeinsamen Website zu diskutieren und vorzubereiten.
Das Projekt:
- Wir sind keine NGO, sondern Aktivist*innen aus Gedenkinitiativen. Wir machen alles selbst.
- die Website ist ein offenes Projekt. Gruppen sind eingeladen sich zu beteiligen. Falls wir bestimmte Initiativen bisher nicht angesprochen oder erreicht haben, die in dieser Hinsicht aktiv sind oder waren, ist das keine Absicht. Wir stehen mit dem Projekt am Anfang und versuchen gleichzeitig neue Leute und Gruppen einzubinden, eine Grundstruktur der Seite zu erarbeiten sowie zu einzelnen Ermordeten die zu veröffentlichenden Texte und Bilder zusammenzustellen.
- Besonders sind wir interessiert an Rückmeldung und Beteiligung von Angehörigen und Freund*innen der Opfer.
- Diese Seite strebt keine Vollständigkeit an, bekannt ist sowieso nur die Spitze des Eisbergs rechter und rassistischer Gewalt.
- Die Webseite wird zunächst eine Baustelle sein und schon geposteten Beiträge konzentrieren sich zurzeit auf einige wenige Personen und aktuelle Beiträge. Wir sind bestrebt, dass die Seite so schnell wie möglich zumindest einen Überblick zu den Opfern gibt, die schon in der Arbeit von einzelnen Initiativen in Berlin präsent sind oder waren.
- Das Gedenken an die Opfer soll im Mittelpunkt stellen, unsere Positionierung gegen rechte und rassistische Gewalt, die Verantwortung des Staates und seiner Institutionen für Rassismus, Faschismus und Sozialchauvinismus soll aber ebenfalls sichtbar werden.
Einzelne Beiträge zu den Ermordeten sollten – soweit dies im Einzelfall möglich ist- enthalten:
- Informationen zur Person und Vorgeschichte des Opfers umfassen (nicht allein tatbezogen).
- Es soll die Tat mit einer zeitlichen und örtlichen Einordnung dargestellt werden.
- Informationen zu den Ermittlungen und zum Gerichtsverfahren.
- Informationen zu öffentlichem Gedenken, zur Geschichte von Initiativen und gesellschaftlichen Reaktionen
Opfer rechter und rassistischer Gewalt in Berlin
- 05. Jan 1980 – Celalettin Kesim (36), in Kreuzberg
- 12. Mai 1989 – Ufuk Şahin (24), im Märkischen Viertel, Reinickendorf
- 07. Jan 1990 – Mahmud Azhar (40), in Dahlem (gestorben 6.3.)
- 11. Dez 1990 – Klaus-Dieter Reichert (24), in Lichtenberg
- 27. Okt 1991 – Mete Ekşi (19), am Adenauerplatz, Charlottenburg (gestorben 13.11.)
- 24. Apr 1992 – Nguyễn Văn Tú (29), Marzahn, staatlich anerkannt
- 29. Aug 1992 – Günter Schwannecke (58), in Charlottenburg (5.9. gestorben), nachträglich anerkannt
- 21. Nov 1992 – Silvio Meier (27), in Friedrichshain, staatlich anerkannt
- 24. Okt 1993 – Hans-Joachim Heidelberg (28), in Schöneweide
- 23. Jul 1994 – Beate Fischer (32), in Reinickendorf, nachträglich anerkannt
- 26. Jul 1994 – Jan Wnenczak (45), in die Spree getrieben
- 06. Okt 1999 – Kurt Schneider (38), in Lichtenberg, nachträglich anerkannt
- 24./25. Mai 2000 – Dieter Eich (60), in Buch, nachträglich anerkannt
- 05. Nov 2001 – Ingo Binsch (36), in Marzahn, nachträglich anerkannt
- 13. Jun 2003 – Attila Murat Aydin (33) (bekannt auch als Graffiti-Künstler unter dem Namen Maxim), in Treptow-Köpenick
- 06. Aug 2008 – Nguyễn Tấn Dũng (20), in Marzahn
- 05. Apr 2012 – Burak Bektaş (22), in Neukölln
- 20. Sep 2015 – Luke Holland (31), in Neukölln
- 01. Feb 2016 – Jim Reeves (47), in Charlottenburg
- 20. Sep 2016 – Eugeniu Botnari (34), in Lichtenberg
Diese Liste ist sicherlich nicht vollständig, wir sind dankbar für Hinweise und Beiträge zur Ergänzung.
Politischer Hintergrund
Rechte und rassistische Morde sind insbesondere seit der deutschen Wiedervereinigung ein massenhaftes Phänomen. Aber auch schon in den 80er Jahren gab es immer mehr davon.
Wir wollen dies am Beispiel Berlin sichtbar machen, denn diese Morde passieren nicht weit weg, sondern hier vor Ort – Berlin stellt mit fast 20 bekannten rechten und rassistischen Morden einen der Schwerpunkte rechter Gewalt in Deutschland überhaupt dar. Hier sind die vielen Morde im direkten Berliner Umland (S-Bahn-Nähe) noch nicht einmal mitberechnet.
Angehörige und Freund*innen der Opfer beklagen vielfach, dass Polizei und Justiz die Opfer nicht geschützt haben. Vielmehr beschäftigen sich die „Ermittlungsbehörden“ in vielen Fällen intensiver mit dem Verschleiern der Motivation rechter/rassistischer Täter und der Produktion von „Einzeltätern“, indem sie sich bemühen den organisierten Hintergrund vieler dieser Taten unsichtbar zu halten. So schützen sie die Täter und verhindern deren effektive Bekämpfung. Es sind insbesondere Staatsschutz und Verfassungsschutz, die über das V-Leute-System rechte Täterstrukturen stärken und finanzieren.
Gedenkinitiativen
In Einzelfällen gibt es sie seit vielen Jahren Gedenkinitiativen. Einige führen regelmäßig Gedenkveranstaltungen durch, setzen sich für Umbenennung von Straßen oder Plätzen nach den Opfern ein, gestalten Gedenkorte. In Berlin sind dies z.B. das Gedenken an Silvio Meier und Dieter Eich.
In anderen Fällen kam es nur kurzfristig nach den Morden selbst zu Demonstrationen und Kundgebungen. Oder die oft skandalös verharmlosenden Gerichtsprozesse gegen die Täter führten zu öffentlichem Protesten. So war es nach dem Mord an Ufuk Şahin (1989), Mahmud Azhar (1990), Mete Ekşi (1991), Nguyễn Văn Tú (1992).
Das ungestörte Morden des NSU über ein ganzes Jahrzehnt, während die Opfer und ihre Angehörigen ihren Namen in den Schmutz gezogen sahen, sie selbst statt der Täter*innen beschuldigt und verfolgt wurden, und keine kritische Öffentlichkeit sich dagegen gestellt hat, hat auch uns schockiert. Seither bilden sich bundesweit immer mehr Gedenkinitiativen. Opfer rechter Gewalt und ihre Angehörigen sollen nie wieder auf diese Art alleine gelassen werden.
Das Gedenken an in der Öffentlichkeit fast vergessene Fälle wurde wieder aufgenommen. So kam es in den letzten Jahren zu Gedenkaktivitäten und Veranstaltungen an Mahmud Azhar (2017), Nguyễn Văn Tú und Nguyễn Tấn Dũng in Marzahn, Ufuk Şahin, Beate Fischer (beide Reinickendorf) und Kurt Schneider (Lichtenberg) (alle 2019).
Neu hinzu kam das Gedenken an Burak Bektaş (2012) und Luke Holland (2015) in Neukölln sowie Eugeniu Botnari (2016) in Lichtenberg.
Kontakt: niemandistvergessen@riseup.net