Stand: Juni 2020

Person

Celalettin Kesim (geboren 7. Juli 1943 am Schwarzen Meer) kam 1973 als Arbeitsmigrant aus der Türkei nach West-Berlin. Er arbeitete zuerst als Dreher bei Borsig und später arbeitete er als Lehrer an einer Berufsschule. An der Volkshochschule unterrichtete er zudem türkische Volksmusik. Kesim gehörte der Kommunistischen Partei der Türkei (TKP) an und war Sekretär des als Anlaufstelle der konspirativ arbeitenden Partei dienenden „Türkenzentrums“ in Neukölln. Darüber hinaus war er Verbindungsmann der TKP zur Sozialistischen Einheitspartei Westberlins (SEW), der er ebenfalls angehörte. Gewerkschaftlich engagierte sich Kesim zuerst in der IG-Metall, deren Vertrauensmann bei Borsig er wurde. Später als Lehrer war er in der GEW aktiv. Kesim war verheiratet und hatte einen Sohn, zum Zeitpunkt seines Todes war seine Ehefrau erneut schwanger.

Celalettin Kesim im Kreis seiner Genossen

Tat

Am 5. Januar 1980 verteilten mehrere Dutzend Mitglieder der TKP am Kottbusser Tor Flugblätter, um vor einem drohenden Putsch in der Türkei zu warnen. Plötzlich stürmten aus der nahegelegenen Mevlana-Moschee rund 70 mit Messern, Ketten und Knüppeln bewaffnete Islamisten und Anhänger der faschistischen Grauen Wölfe. Sie skandierten »Wer Allah liebt, schlage zu« und »Russen raus aus Afghanistan«. Celalettin Kesim wurde mit einem Messerstich an der Oberschenkelarterie getroffen. Zivilpolizisten hatten den Überfall beobachtet, dennoch trafen Sicherheitskräfte und der Notarzt erst nach einer halben Stunde ein. Einige seiner Genossen*innen schleppten Kesim noch bis zur Kottbusser Brücke. Ein Feuerwehrwagen brachte Kesim ins Urban-Krankenhaus, wo sein Tod festgestellt wurde.

Kesims Genoss*innen gehen von einem gezielten Mordanschlag durch den türkischen Geheimdienst MIT auf einen der bekanntesten Vertreter der türkischen Linken in Berlin aus. So berichteten Besucher*innen der Mevlana Moschee, dass in den Wochen vor dem Überfall fremde Männer in der Moschee gegen die Kommunist*innen agitiert und Waffen gebracht hätten. In der Türkei tobte damals ein regelrechter Bürgerkrieg, in dem die vom Staat unterstützten Grauen Wölfe und Islamisten Tausende Linke, Gewerkschafter*innen und Aleviten massakrierten. Mit Billigung des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß und logistischer Hilfe deutscher Geheimdienste konnten sich die Grauen Wölfe Ende der 1970er Jahre auch in der Bundesrepublik als erwünschtes Gegengewicht zur linksgerichteten Arbeitsmigration etablieren. Die Mevlana Moschee, aus der der Überfall auf die TKP-Flugblattverteiler erfolgte, gehört wiederum zum Islamverband Milli Görüş (Nationale Sicht), in dem sich die Anhänger des türkischen Islamistenführers Necmettin Erbakan organisiert hatte.

Ort

Am 21. Juni 1991 wurde auf Initiative eines Kreuzberger Lehrers an dem Platz zwischen der Skalitzer- und Kottbusser Straße ein Gedenkstein am Fuße einer von Hanefi Yeter geschaffenen Stele aufgestellt. Auf der Stele steht eine Zeile aus einem Gedicht des kommunistischen türkischen Dichters Nazım Hikmet: „Sie sind die Feinde der Hoffnung, Geliebte.“

Die Inschrift des Gedenktafel lautet:

Celalettin Kesim
7.7.1943 Türkiye – 5.1.1980 Berlin
Sendikacı, öğretmen Celalettin Kesim
aşırı sağci türk örgütü tarafından
burada bıçaklanarak öldürüldü!
An diesem Ort wurde der Lehrer und
Gewerkschafter, Celalettin Kesim,
von Anhängern rechtsextremistischer
türkischer Organisisationen erstochen.

Bis heute dient der kleine Platz als beliebter Kundgebungsort für türkische und kurdische Linke, etwa anlässlich der Gezi-Park-Proteste 2013 in der Türkei oder gegen die Massaker der türkischen Armee an Kurd*innen und den Einmarsch in Rojava-Nordsyrien. Es gibt auch die Forderung, bislang namenlosen Platz offiziell in Celalettin-Kesim-Platz zu benennen.

Gerichtsprozess / staatliche Ermittlungen

Nach dem Überfall waren sieben Tatverdächtige festgenommen worden. Wegen schlampiger Ermittlungen werden später im Hauptverfahren nur zwei Personen angeklagt. Trotz zahlreicher belastender Zeugenaussagen wird einer von ihnen freigesprochen. Der andere Angeklagte, Abdul Saticioglu, der sich im Prozess als der „geistige Führer“ von Milli Görüş in Berlin bezeichnete, wurde wegen „Landfriedensbruchs und Beteiligung an einer Schlägerei“ zu vier Jahren Haft verurteilt. Das Gericht hält ihm strafmildernd zugute, dass er „nach seiner ganzen Ideenwelt an eine gute Sache geglaubt“ habe, auch wenn „diese dem hiesigen Denken fremd“ sei. Alle nachfolgenden Verfahren enden mit Freisprüchen.

Reaktionen und Presse

Die BILD-Zeitung titelte nach dem Überfall »Türken-Krieg mit Fleischermesser: ein Toter«. Bis zu 15.000 Menschen – laut taz „von der Kreuzberger SPD über die Alternative Liste bis zur Punk-Szene“ – beteiligten sich eine Woche nach dem Mord an einem Trauermarsch zum Kottbusser Tor. Gefordert wurden das Verbot aller faschistischen Organisationen einschließlich der Grauen Wölfe und die Ausweisung der türkischen Faschisten. „Aufgerüttelt durch einen Mord auf offener Straße fängt zumindest ein Teil der deutschen Öffentlichkeit an zu begreifen, dass neben neofaschistischen Gruppierungen noch ein importierter Faschismus im Dickicht der Ghettos existiert, dessen Basis sich rapide verbreitert“, hieß es in der taz.

Taz-Bericht über den Trauerzug nach Kesim Ermordung

Aufruf für die Demo am 12.1.1980

4-minütiges Video vom Trauerzug

Gedenken

Jährlich finden am 5. Januar an der Gedenkstele am Kottbusser Tor kleine Kundgebungen und Kranzniederlegungen statt. Veranstalter sind die DKP, TKP sowie die Föderation der Immigrantenvereine aus der Türkei (FIDEF)

Artikel:

Bericht über die Einweihung der Gedenktafel in der Berliner Lehrerzeitung

Bericht der jungen Welt zum 40. Todestag von Celalettin Kesim

Kolumne von Deniz Yücel in der taz 2015

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