Niemand ist vergessen!
In Gedenken an Beate Fischer – 1994 von Neonazis ermordet
Aufruf zum Gedenken am 23. Juli 2019
Dienstag, 23. Juli um 18 Uhr
Residenzstr. Ecke Emmentaler Str.
U-Bhf. Residenzstr. | Berlin-Reinickendorf
Kopiervorlagen (A4)
Hintergrund: schwarz & weiss
Am 23. Juli 1994 wurde Beate Fischer von drei jungen Neonazis nach stundenlanger Vergewaltigung und Folter ermordet. Die zu diesem Zeitpunkt 32 Jahre alte Beate Fischer kam aus Weißensee und war Mutter zweier Kinder. Beate Fischer war zudem Sexarbeiterin. Ihr Todestag jährt sich in diesem Jahr zum 25. Mal.
Am Abend des 23. Julis 1994, einem Samstag Abend, traf sie am S-Bahnhof Lichtenberg auf die späteren Täter. Nachdem sie (laut Gericht) zunächst freiwillig mit ihnen in die Wohnung in Reinickendorf fuhr, endete der Abend für sie in stundenlanger Vergewaltigungen, Folter, mehreren Mordversuchen und schließlich ihrem Tod. Die Neonazis legten ihren Körper zu den Mülltonnen vor dem Haus. Die Täter wurde im anschließenden Prozess zu Strafen zwischen 10 und 21 Jahren verurteilt. Trotzdem hat das Gericht die politische Dimension des Falls verkannt. Erst 2018 wurde der Mord an ihr als rechte Tat anerkannt. Die Aburteilung Beate Fischers durch die Neonazis als »minderwertig«, die Brutalität des Mordes, der ideologische Hintergrund der Täter und deren unglaubliche Freude an Gewalt waren die Gründe für diese Anerkennung.
Vor allem der Hintergrund der Neonazis war aber ausschlaggebend: Einer der Täter lebte eine Zeit lang im von Neonazis besetzten Haus in der Lichtenberger Weitlingstraße. Das Haus unterstand der Kontrolle der Neoanziorganisation »Nationale Alternative« (NA). An den Wochenenden fuhr er zusammen mit einer Wehrsportgruppe für militärische Übungen ins Berliner Umland. Auch die anderen Täter bewegten sich in rechten Jugendcliquen, die sich im Fußballhoolmilieu sammelten (v.a. Hertha & BFC Dynamo). Die Neonazis, alle zwischen 18 und 24 Jahren alt, ermordeten sie nicht nur aus Frauen*feindlichkeit heraus, sondern auch aufgrund der Stigmatisierung Beate Fischers als Sexarbeiter*in. Beate Fischer war und ist in beiden Hinsichten nie ein Einzelfall gewesen, weder 1994 noch heute.
Für Frauen gilt in unserer so »aufgeklärten« Gesellschaft immer noch eine rigide Sexualmoral. Wer mit wechselnden Männern Sex hat und dafür auch noch Geld nimmt, muss mit Sanktionen rechnen – das geht von Verachtung über Beleidigungen, von juristische Fallstricken bis hin zu körperlichen Angriffen und sogar Morden. Dahinter steht das Bild der bürgerlichen, sexuell reinen Frau und Mutter, die ihrem Ehemann treu und von ihm finanziell abhängig ist. Sexarbeiter*innen verstoßen gleich zweifach gegen diese Regel: Nicht nur verweigern sie sich der sexuellen Treue, dazu kommt die finanzielle Unabhängigkeit, die dieser Job verschaffen kann. Das Bild, was ihnen entgegengehalten wird, nennt man »Huren-Stigma«. Es beinhaltet den Vorwurf, die Betroffene sei »unehrenhaft«, weil sie ihre »Ehre«, also ihre Sexualität, verkaufe. Heutzutage trifft sich dieser Vorwurf oft mit dem Stigma der psychischen Krankheit, wenn Sexarbeiterinnen pauschal Depression oder eine »schwierige Kindheit« vorgehalten wird.
Doch paradoxerweise sind nicht nur Sexarbeiterinnen vom »Huren-Stigma« betroffen. Es kann im Grunde jede treffen, die in irgendeiner Weise von dem abweicht, was von ihr erwartet wird. Ob man knappe Kleidung trägt oder man Affären hat, ob man gerne tanzen geht oder auch nur zu selbstbewusst auftritt; die allermeisten Frauen sind wohl schon als »Hure« bezeichnet worden, und das in den unnsinnigsten Situationen. Ganz besonders trifft das aber natürlich Frauen, die sowieso schon am meisten unter der Gesamtscheiße zu leiden haben, nämlich Schwarze Frauen, Trans*-Frauen, obdachlose Frauen und viele andere mehr – all jene, die von dem Ideal der weißen, bürgerlichen Frau abweichen.
Das »Huren-Stigma« ist nur eins von vielen Stigmata, in denen sich die Frauenverachtung der Gesellschaft zeigt. Und die ist keine bloße Frage von blöden Sprüchen und ungewollten Blicken: Frauenverachtung tötet.
Laut Medienberichten und Statistiken wurden im Jahr 2016 insgesamt 70.000 gezielte Körperverletzung gegen Frauen* registriert. 11.900 wurden gefährlich verletzt. Mehr als 16.700 Frauen wurden von ihrem Partner bedroht und mehr als 7600 Frauen von ihrem (Ex)-Partner gestalkt. In 357 Fällen ging es um Mord oder Totschlag – bei 208 Fällen überlebte die Frau, bei 149 nicht. Das heißt, dass in Deutschland jeden dritten Tag eine Frau ermordet wird, meist von ihren Beziehungspartnern, ihrer Familie oder ihrem direkten Umfeld.
Der Mord an Beate Fischer liegt nicht nur in der Gewalttätigkeit einzelner Männer oder gar Neonazis begründet. Er ist Teil der patriarchalen Organisation unserer Gesellschaft, und deshalb kämpfen wir für eine bessere Welt jenseits des Patriarchats. Diese patriarchale Ordnung erfüllt innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft eine bestimmte Aufgabe: un(ter-)bezahlte Care- und Reproduktionsarbeit sind notwendig, um widerum Arbeitskraft zu regenerieren und zu reproduzieren. Innerhalb des Kapitalismus wird sich das Patriachat nicht zerstören lassen, ebenso wie sich der Kapitalismus nicht innerhalb des Patriachats zerstören lässt, da beide Gesellschaftsformen sich auch gegenseitig bedingen und am Leben erhalten. Gerade deshalb sind Initiativen wie die Arbeitskämpfe in der Care-Branche oder der Frauen*-Streik wichtig, da sie Klassenkämpfe unter spezifisch feministischen und antipatriachalen Gesichtspunkten führen.
Die faschistische Gewalt ist somit eine Zuspitzung von Gewalt, die bereits im bürgerlich-liberalen Kapitalismus wirkt. Auch hier zeigt sich die Verwandtschaft dieser bürgerlichen Formen von Herrschaft, ihrer liberalen und ihrer offen terroristischen.
An Beate Fischer zu gedenken, bedeutet nicht nur einem rechten Mord zu gedenken, sondern auch allen anderen Frauen*, sowie Sexarbeiter*innen, die von dieser Gewalt betroffen waren und sind.
Den Frauen*morden entgegentreten!
Die Stigmatisierung von Sexarbeiter*innen bekämpfen!
An die Opfer von rechter Gewalt gedenken!
Erinnern heißt kämpfen!
Niemand ist vergessen!
Organisiert vom Netzwerk »Niemand ist vergessen!«
Infos unter: www.berlin.niemandistvergessen.net
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