Aufruf zur Kundgebung: Internationaler Tag zur Erinnerung an die Opfer von Transfeindlichkeit
Kundgebung
20.11 15:00 Uhr
vor dem Unfallkrankenhaus Berlin
Warener Straße 1, 12683 Berlin
Gemeinsame Anreise:
14:20
U Bahnhof Frankfurter Allee
(Treffpunkt: am Gleis)
327 ermordete trans Menschen wurden zwischen dem 1. Oktober 2021 und dem 30. September 2022 vom Trans Murder Monitoring registriert. Über 95% der ermordeten Menschen waren trans Frauen oder transfeminine Menschen, von der Hälfte wird gewusst, dass sie als Sexarbeiter:innen arbeitete bzw. arbeiten mussten. 65% wurden rassifiziert, 36% der Ermordeten innerhalb der EU waren Migrant:innen. Da die Daten aus Medienberichten gewonnen werden und diese häufig das gesellschaftlich normative Geschlecht angeben oder schlicht nicht bekannt ist, dass die Person trans war, dürfte die Zahl der Ermordeten noch deutlich höher liegen.
Jeder einzelne dieser Menschen ist einer zu viel. Die Zahlen spiegeln auch die hohe Misogynie, den Rassismus, Hass auf Migrant:innen und die überdurchschnittlich häufig prekären Lebensbedingungen von trans Menschen wider, die durch die institutionalisierte und gesellschaftliche Diskriminierung in unsichere und gewaltvolle Arbeitsverhältnisse gedrängt werden, um ihren Lebensunterhalt irgendwie sichern zu können.
Am 20.11, dem internationalen Tag der Erinnerung an die Opfer von trans Feindlichkeit (transgender day of remembrance) möchten wir den ermordeten Menschen gedenken und eine kämpferische Kundgebung gegen die Unterdrückung von trans Menschen organisieren . Wir wollen dabei an Orte gehen, die symbolisch für diese Unterdrückung stehen und haben uns darum entschieden, uns vor dem Berliner Unfallkrankenhaus zu treffen, wo das kämpferische Leben von Ella Nik Bayan endete.
An der Lebensgeschichte von Ella lassen sich die Unterdrückungsverhältnisse, mit denen trans Menschen zu kämpfen haben, nachzeichnen. Ella wurde in Deutschland als Geflüchtete und als trans Frau unterdrückt. Im Iran geboren und wegen ihres Geschlechts von Familie und Gesellschaft bedroht musste sie von dort fliehen. Ihr Weg führte durch die iranische Wüste in prekäre Beschäftigungsverhältnisse in der Türkei, über das Meer nach Griechenland und von dort aus nach Deutschland. Doch auch hier angekommen machten ihr Transfeindlichkeit und die gesetzlich geregelte Unterdrückung von Geflüchteten das Leben zur Hölle. Sowohl in ihrer Zeit in Magdeburg als auch hier in Berlin erlebte sie Hass. Sie wurde auf offener Straße beleidigt, vom Nachbarn bedroht und von Jugendlichen verprügelt.
Der Ursprung dieser Hassverbrechen findet sich auch in der institutionalisierten Unterdrückung von trans Menschen und Geflüchteten. Ellas Asylantrag wurde nach zwei Jahren des Wartens trotz der staatlichen Verfolgung queerer Menschen im Iran abgelehnt, sie musste klagen. Für Ella bedeutete dies, dass sie über mehrere Jahre hinweg nur medizinische Notfallmaßnahmen in Anspruch nehmen konnte. Grund dafür war das Asylbewerberleistungsgesetz, durch welches 1993 im sogenannten Asylkompromiss in Reaktion auf das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen das Asylgesetz mitverschärft wurde und in dem unter anderem geregelt ist, dass die medizinische Behandlung für Asylsuchende stark eingeschränkt wird. Hormonbehandlungen oder geschlechtsangleichende Operationen fallen nicht darunter. Termine bei Behörden wie dem BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) und dem Jobcenter waren für Ella entwürdigend, Mitarbeitende weigerten sich sie mit dem richtigen Namen anzusprechen und schrien sie mit Beleidigungen an.
Als Ella nicht mehr konnte entschied sie sich für einen wachrüttelnden Suizid. Sie stellte sich mitten auf den Alexanderplatz und setzte sich selbst in Brand. Eine Art des Suizids, die immer wieder als letztes politisches Statement genutzt wird. Doch auch nach ihrem Tod hörten die misogynen und transfeindlichen Angriffe nicht auf. Noch im Unfallkrankenhaus wurden durch eine:n Mitarbeiter:in Fotoaufnahmen ihres teils entkleideten Leichnams gemacht und veröffentlicht. Ihr Grab auf dem Friedhof der Sozialist:innen in Friedrichsfelde wurde mehrmals geschändet.
Ella ist nicht der einzige Mensch, der durch Transfeindlichkeit umgekommen ist. Erst im August diesen Jahres wurde Malte auf dem CSD in Münster ermordet, nachdem er Frauen* zur Hilfe kam, die zuvor homophob beleidigt wurden und der Täter ihn als trans Mann erkannte. Malte erlag seinen Verletzungen eine Woche später im Krankenhaus.
Wollen wir uns gegen die Unterdrückung von trans Menschen einsetzen gilt es daher nicht nur in Richtung anderer Länder zu zeigen. Auch in Deutschland werden Menschen durch das sogenannte “Transsexuellengesetz” weiterhin gezwungen teure psychologische Gutachten in Auftrag zu geben, dafür entwürdigende Fragen zu beantworten und eine lange Zeit auf den benötigten Gerichtsbeschluss zu warten – und das alleine für den eigentlich simplen Verwaltungsakt des sogennnten „Geschlechtseintrag“ offiziell ändern zu lassen. Selbst das bürgerliche Recht in Form des BGH sieht hier mehrere Grundrechte der davon Betroffenen angegriffen und forderte die Legislative in den vergangenen Jahren regelmäßig auf die Gesetzgebung zu ändern. Auf das Selbstbestimmungsgesetz, dass diese fragwürdige Prozedur aufheben soll, warten wir immer noch. Auch dieses Jahr wird es nicht kommen.
Möchten Menschen von der Krankenkasse geschlechtsangleichende Leistungen in irgendeiner Form bewilligt bekommen besteht weiterhin der Zwang sich pathologisieren zu lassen und zwangsweise an Therapiesitzungen teilzunehmen. Für Menschen, die nicht in das binäre Geschlechtssystem hineinpassen, ist der Zugang zu diesen medizinischen Leistungen noch schwieriger. Diskriminierung bei der Lohnarbeitssuche und im Job, die in eine erhöhte Erwerbslosigkeit führt und Menschen in prekäre Arbeitsverhältnisse zwingt, eine häufig mangelhafte Gesundheitsversorgung und Anfeindungen im gesellschaftlichen Leben runden das ab.
Es gilt: nicht das trans sein ist eine psychische Erkrankung, diese Verhältnisse machen Menschen erst krank! Besonders getroffen werden davon trans Frauen, Migrant:innen, rassifizierte und in besonders prekären Arbeitsverhältnissen gefangene Menschen, da sie zusätzlich unter der im Patriarchat vorherrschenden Misogynie leiden, Rassismus und soziale Ausgrenzung erfahren.
Der trans day of remembrance ist für uns daher nicht nur ein Tag zum Gedenken an die Verstorbenen. Wir rufen auch auf zu einer kämpferischen Kundgebung gegen die unterdrückenden Verhältnisse! Lasst uns gemeinsam dagegen kämpfen und dabei Ella, Malte und alle anderen in Erinnerung behalten – niemand ist vergessen!