1. Leben von Schwannecke

Günter Heinrich Hermann Schwannecke war ein bekannter, zeitgenössischer Kunstmaler, lebte und wirkte u.a. in Berlin und Braunschweig. Im August 1992 wurde er in Berlin von Neonazis ermordet. Anschließend geriet er überwiegend in Vergessenheit. Heute erkennen ihn die Bundesregierung und der Berliner Senat als Todesopfer rechter Gewalt an.

Günter Schwannecke wurde am 6. Juli 1934 in Braunschweig geboren. Dort ging er auf das Gymnasium Raabeschule, das er wohl frühzeitig verließ. Von 1950 bis 1953 machte er eine Ausbildung zum Positivretoucheur (heute Mediengestalter). In den Jahren 1954 bis 1955 studierte er an der Werkkunstschule Braunschweig bei Bruno Müller-Linow. Er erhielt ein Begabtenstipendium für die Staatliche Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart, an der er bis zwischen 1955 und 1958 freie Malerei bei Manfred Henninger studierte und frühzeitig abschloss. 1957 und 1959 reiste er mehrfach nach Paris. Er illustrierte Ausgaben der Studierendenzeitung „Semesterspiegel” in Münster. Er hielt sich auf der italienischen Insel Ischia 1958 länger auf und lernte den Maler Hans Purrmann dort kennen. Anschließend arbeitete er in München als Positivretoucheur bei Triumph-Miederwaren bis 1962 und wandte sich weiter der Malerei zu. 1960 und 1961 stellte er in Münster, Fulda (Galerie Junge Kunst) und Braunschweig Kunstwerke in Galerien aus. In Braunschweig gab er 1961 eine Ausstellung mit Joachim Kuschel und Peter Kalkhof. Er eröffnete in Braunschweig eine Galerie und finanzierte sich mit einer freiberuflichen Tätigkeit als Positivretoucheur bei Volkswagen. Er heiratete im Jahr 1964 in Berlin die Solotänzerin Renate Heuer, die Ehe dauerte jedoch nur bis 1966. 1965 ging Schwannecke nach West-Berlin, wo er zahlreiche Ausstellungen hatte und Werke verkaufte. In dieser Zeit malte er vor allem Popikonen. 1976 kehrte er verarmt nach Braunschweig zurück. Mit dem Deutschen Herbst 1977 begann er, Fahndungsplakate neu zu zeichnen, malte nur noch Dinge, die ihn ansprachen. 1981 oder 1982 ging er wieder nach Berlin. Seine Ausstellungen waren schwer zu finanzieren und scheiterten teils. Er stellte in den Berliner Mehringhöfen aus, fand einen Kunstagenten und lebte in Berlin-Charlottenburg in einer Wohngemeinschaft. Es entstanden Werke von Punks, Kneipiers, Ärzt:innen, er malte, was er sah. Als Ende der 1980er Jahre seine Mutter verstarb, war dies ein starker Einschnitt für ihn. Im Jahr 1992 war er zeitweise ohne festen Wohnsitz, bekam aber eine Unterkunft im Städtischen Wohnheim am Friedrich-Olbricht-Damm in Charlottenburg-Nord.

2. Die Tat

Am Abend des 29. August 1992 hielten sich vier Studierende aus Sri Lanka auf einem Spielplatz in der Pestalozzistraße/Fritschestraße in Berlin Charlottenburg auf, als sie von den Neonazis Norman Zühlke und Hendrik Jähn rassistisch beleidigt und bedroht wurden. Die Studierenden gingen darauf nicht ein und die Rassisten verließen den Spielplatz zunächst wieder. Wenig später kehrten sie jedoch mit einem Baseballschläger bewaffnet zurück. Zu diesem Zeitpunkt waren noch zwei Studierende anwesend. Die Neonazis gingen gezielt auf sie zu und drohten ihnen mit Schlägen. Die ebenfalls anwesenden Günter Schwannecke und Hagen Knuth, welche sich hier verabredet hatten, um Knuths Geburtstag zu feiern, mischten sich ein und forderten die Neonazis auf, von den Studierenden abzulassen. Daraufhin gerieten sie selbst in deren Fokus. In der Folge schlug Norman Zühlke mit einem Baseballschläger auf Schwannecke und Knuth ein und verletzte beide schwer. Günter Schwannecke verstarb am 5. September 1992 an den Folgen der erlittenen Schädeldachfrakturen. Hagen Knuth musste nach dem Angriff zwölf Tage im Krankenhaus verbringen. Auch die Schläge auf ihn wertete das Gericht später als „akut lebensbedrohend“.

Eine Studie (https://depositonce.tu-berlin.de/bitstream/11303/7111/3/Klassifikation_politsch_rechte r_Toetungsdelikte.pdf) meint dazu: „Es handelt sich um einen Fall von Hasskriminalität, der in die PMK-Statistik aufgenommen werden sollte: (Zühlke und Jähn, Anm. des Autors) beschimpfen zunächst die (…) (Studierenden) auf dem Spielplatz in rassistischer Weise. Die (…) (Studierenden) werden als ,Ausländer‘ verbal angegriffen. Als sich Schwannecke und Knuth in die Angelegenheit einmischen, werden auch sie von den Skinheads attackiert. Geht man davon aus, dass Zühlke die beiden als Obdachlose ausgemacht hat und sie auch aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes und ihres gesellschaftlichen Status abwertete, so ist auch dieser Angriff als Hasskriminalität im Sinne des KPMDPMK zu verstehen.
Das spezifische Freund-Feind-Denken der Skinheads spielt im gesamten Tatgeschehen eine wichtige Rolle: Die (…) (Studierenden) werden aufgrund ihrer Herkunft bzw. Hautfarbe als ,Feinde‘ ausgemacht; Schwannecke und Knuth werden zu ‚Feinden‘, weil sie die Platzherrschaft der beiden Täter in Frage stellen. Durchgehend legen Z(ühlke) und J(ähn) hegemoniales Männlichkeitsgehabe und ein Revierverhalten an den Tag. Wer sich dem widersetzt, wird zum Feind. (Es) zeigt sich, dass nicht nur Angehörige der bekannten Opfergruppen von rechter Gewalt betroffen sein können, sondern letztlich jeder.“

3. gerichtliche Aufarbeitung

Bei den Ermittlungen wurde der politische Hintergrund der Tatverdächtigen zwar berücksichtigt, die Zugehörigkeit zur „Skinhead-Szene“ allerdings nicht genauer untersucht, so eine Studie des Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA) der TU Berlin von 2018, welche verschiedene Fälle von Todesopfern rechter Gewalt nochmals überprüfte. Im Schlussbericht der Polizei heißt es demnach, dass diese Verdächtigen keiner „festen Gruppierung“ angehört hätten.

Auch das Berliner Landgericht konnte kein politisches Motiv erkennen. So wird im Urteil zwar erwähnt, dass die Studierenden durch die Neonazis „ausländerfeindlich“ beschimpft wurden, letztlich sei die Auswahl der Opfer dann aber willkürlich erfolgt. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass Norman Zühlke Schwannecke und Knuth „als beliebige Opfer gewählt“ hatte, „an denen der (er) seine Aggressionen abreagieren wollte“. Der Neonazi wurde Anfang 1993 wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu sechs Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Die Tatsache, dass der Täter zur Tatzeit betrunken war, wirkte sich strafmildernd aus.

Vor Gericht gab Zühlke an, nicht aufgrund politischer Inhalte in der rechten Skinszene aktiv gewesen zu sein, sondern wegen des besonderen Zusammengehörigkeitsgefühls. Eine Darstellung, die das Gericht fast unhinterfragt übernahm. Zühlke sei, so das Urteil, „politisch wenig interessiert, nahm jedoch einmal in Rudolstadt an einer Demonstration der rechtsradikalen Szene zum Gedenken an Rudolf Hess teil.“

Der Darstellung, dass es sich bei Zühlke lediglich um einen politischen Mitläufer gehandelt habe, widersprechen Recherchen des Antifaschistischen Infoblatts (AIB). Demnach habe Zühlke gemeinsam mit dem Neonazi und späteren V-Mann „Piatto“ Carsten Szczepanski Anfang der neunziger Jahre den Ku-Klux-Klan-Ableger „White Storm Berlin“ gegründet. Außerdem sollen Norman Zühlke und Carsten Szczepanski das Ku-Klux-Klan-Fanzine Feuerkreuz verbreitet haben. Laut AIB blieb Zühlke auch nach seiner Haft Teil der Neonaziszene und war im Netzwerk der Hammerskins aktiv.

4. staatliche Anerkennung als Opfer rechter Gewalt sowie öffentliches Gedenken

Die im Jahr 2012 ins Leben gerufene Gedenkinitiative “Günter Schwannecke” erreichte im Jahr 2013, dass der noch immer am Tatort befindliche Spielplatz heute den Namen Günter Schwanneckes trägt und dort mit einem Gedenkstein an ihn erinnert wird. Auf der Inschrift ist zu lesen:

„Auf diesem Platz wurde der Berliner Kunstmaler Günter Schwannecke am 29.08.1992 Opfer eines tödlichen Angriffs durch Neonazis. Er starb, weil er Zivilcourage bewiesen hat. Er steht in einer Reihe ungezählter Opfer von neonazistischem Terror. Wir werden sie niemals vergessen.“

Die Tafel mit der oben genannten Inschrift wurde seit 2013 mehrfach beschädigt und entwendet. Sie wurde jedes mal mit Zuversicht erneuert.

Bis ins Jahr 2018 musste für die offizielle staatliche Anerkennung Günter Schwanneckes als Opfer rechter Gewalt gekämpft werden. In der Statistik der Bundesregierung zu Todesopfern rechter Gewalt tauchte der Fall zunächst 1993 auf, in späteren Jahren dann wieder nicht mehr. Noch 2012 teilte der Berliner Senat mit, dass das Gericht damals kein politisches Motiv habe ermitteln können und man entsprechend auf eine Klassifizierung im Sinne der Kategorie Politisch-Motivierte Kriminalität (PMK)-rechts verzichte. Nach erneuter Überprüfung wurde Schwannecke 2018 als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt.

Aufgrund der Verbindung von Zühlke zu Carsten Szczepanski alias „Piatto“ mahnt die Gedenkinitiative eine parlamentarische Untersuchung des NSU-Umfeldes in Berlin an.

 

 

 

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